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Ist Entwicklungspolitik verzichtbar?

Blog | 20. Juni 2024 | #Entwicklungspolitik #Entwicklungszusammenarbeit

Jede Minute sterben dutzende oft junger Menschen durch vermeidbare Krankheiten, durch Krieg und Gewalt, Hunger und Klimakatastrophen. Jeden Tag verlieren Mädchen und junge Frauen durch weibliche Genitalverstümmelung ihre Gesundheit oder gar Leben. Millionen Kinder, insbesondere Mädchen, können nicht zu Schule gehen, werden zwangsverheiratet, bekommen früher und nicht die Anzahl an Kindern, die sie sich wünschen, haben keine Chance auf Ausbildung und Eigenständigkeit und leben in Armut.

Zu helfen, diese schrecklichen Missstände zu beheben, scheint ein Gebot der Solidarität und Menschlichkeit. Doch in Zeiten multipler Krisen werden die Stimmen immer lauter, die sagen, dass wir uns diese Hilfe nicht mehr leisten können und erstmal unsere eigenen Probleme lösen müssen. Doch diese Rechnung – beziehungsweise diese Trennung – geht nicht auf.

Längst sprechen wir nicht mehr von Entwicklungshilfe, sondern von Entwicklungszusammenarbeit, denn globale Krisen kennen keine Grenzen und können nur gemeinsam bewältigt werden.

In einer zunehmend vernetzten Welt haben Konflikte, Instabilität und Armut in anderen Ländern direkte Auswirkungen auf die Stabilität und Sicherheit in Deutschland und Europa. Durch die Unterstützung von Entwicklungsprojekten trägt gerade Deutschland dazu bei, die Lebensbedingungen in den ärmsten Regionen der Welt zu verbessern, wodurch soziale Spannungen und das Risiko von Konflikten reduziert werden.

Die Finanzierung von Projekten, die Bildung, Gesundheitsversorgung, Geschlechtergerechtigkeit und wirtschaftliche Entwicklung fördern, hilft, Gesellschaften zu stärken. Diese Stabilität fördert besonders junge Menschen, indem sie ihnen gute und gerechte Bildungschancen ermöglicht und damit Zukunftsperspektiven im eigenen Land schafft. In sozial stabilen und politisch gerechten Gesellschaften fallen auch Extremismus und Terrorismus auf weniger fruchtbaren Boden. Langfristige Investitionen in die Entwicklungspolitik sind daher auch Investitionen in unsere eigene Sicherheit.

Wir alle tragen Verantwortung

Nicht zuletzt aus der Erkenntnis, dass die vielfältigen Krisen, mit denen unser Globus zu kämpfen hat, nur gemeinsam bewältigt werden können, wurde 2015 von den Vereinten Nationen (UN) die Agenda 2030 mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, kurz SDGs) verabschiedet. Die Ziele umfassen unter anderem die Beseitigung von Armut, der Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung und Geschlechtergerechtigkeit. Als eine der größten und stärksten Volkswirtschaften der Welt trägt Deutschland hier eine besondere Verantwortung, im Übrigen nicht nur als Geber. Denn wie der damalige Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gerd Müller (CSU) es formulierte: „Auch Deutschland ist ein Entwicklungsland, das zur Erreichung dieser Ziele weniger konsumieren und mehr zu fairem Handel beitragen muss.“ Nicht nur die anderen müssen sich „entwickeln“, auch vor der eigenen Haustür liegt ein gewisses Potenzial.

Wir haben Recht, Gerechtigkeit und Solidarität zu unseren Grundwerten erhoben. In zahlreichen internationalen Vereinbarungen und Bündnissen steht Deutschland als verlässlicher Partner deshalb nicht nur finanziell in der Pflicht, sondern gilt auch als anerkannter Anwalt für eben diese Werte. Ziehen wir uns aus dieser Verantwortung zurück, werden andere diesen Platz einnehmen, was nicht nur einen hohen moralischen, sondern auch politischen und nicht zuletzt wirtschaftlichen Preis hätte.

Der Klimawandel betrifft uns alle

Der Klimawandel lässt sich nur durch weltweit gemeinsames Handeln aufhalten. Dabei kommt es auf viele Partnerländer der deutschen Entwicklungszusammenarbeit besonders an. Wenn es gelingt, dort direkt in erneuerbare Energien zu investieren, anstatt den Umweg über fossile Kraftstoffe zu wählen, profitiert die ganze Welt. Denn es gilt natürlich: Es ist egal, ob die Tonne CO₂ in Peru, in Indien oder in Deutschland eingespart wird. Jede Einsparung ist gleich wichtig für den weltweiten Klimaschutz. Denn der Klimawandel ist global, die Klimaschäden sind weltweit spürbar – seien es Dürren im Sahel, Wirbelstürme im Gangesdelta oder Hochwasser in Bayern.

„Auch Deutschland ist ein Entwicklungsland.“

Gerd Müller, ehem. Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Hilfe zur Selbsthilfe

Wir kommen unserer Verantwortung in der Welt aber nicht nach, indem wir überall Almosen verteilen. Moderne Entwicklungszusammenarbeit hat nichts mit der früheren Vorstellung von „Entwicklungshilfe“ zu tun. Die heutige Grundausrichtung fußt auf partnerschaftlichen Kooperationen, die Selbstständigkeit fördern und dazu beiträgt, dass sich Menschen und Länder aus eigener Kraft von den Fesseln der Armut befreien.

Deutschlands Wohlstand beruht auf Weltoffenheit. Jeder zweite Euro wird mit dem Export verdient. Eine aktive Entwicklungspolitik ist wirtschaftspolitisch ein wichtiger Türöffner. Wir stehen in einem harten globalen Wettbewerb um Rohstoffe: Nur wenn wir unseren Partnern faire Angebote machen, kann unsere Wirtschaft auch in Zukunft gegenüber Wettbewerbern bestehen.

Deutschland liegt mit seinen Entwicklungs-Investitionen gemessen an seiner Wirtschaftskraft hinter Norwegen, Luxemburg und Schweden auf Platz vier. Das vergleichsweise große entwicklungspolitische Engagement zeugt von moralischer Verantwortung für die Verhinderung von Krieg, Hunger und Armut, liegt aber ebenso im deutschen Interesse. Deshalb hat es über viele Regierungskonstellationen hinweg auch eine lange Tradition. Als global vernetzte Volkswirtschaft ist Deutschland noch stärker als andere darauf angewiesen, belastbare Zugänge und vertrauensvolle Partnerschaften zu pflegen sowie globale Krisen friedlich und auf dem Wege der Zusammenarbeit zu lösen.

Die vergangenen Jahre waren von multiplen Krisen geprägt – Pandemie, Inflation, Klima und Kriegen – die alle eines zeigen: die Probleme der Gegenwart machen nicht vor nationalen Grenzen halt. In unserer globalisierten Welt können wir unsere Probleme nur global, das heißt gemeinsam lösen. Entwicklungszusammenarbeit ist ein unverzichtbarer Teil dieser Lösung.

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW)

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